Die Narrenfibel - Die geheimnisvolle Welt der weisen Narren
HAGZISSA - Treffpunkt für Hexen und Übersinnliches
Datum: 12.10.07
Uhrzeit: 19:15:23
User online: 2
 
Home
Mythen & Dämonen Lexikon
Aberglaube Lexikon
Spuk & Jenseits Lexikon
Geheimnisvolle Orte
Versunkene Zivilisationen
Seemannsgarn
Sagen und Märchen
Seelenworte hinter Glas
Die Narrenfibel
Der E-Komplex
Buch Nornenauge
Der Blog des Narren
Das Möbiussche Band
Unheimliches Experiment
Die Jubiläen der Ehe
Phänomene Websprung
Weisheiten der Welt
Über den Narren
About this webpage!
Rechtliche Hinweise
Impressum
Mail

Versunkenes Vineta



Auf der Insel Usedom liegt zwischen den bekannten Seebädern Heringsdorf und Zinnowitz das Dorf Coserow. Dasselbe ist von dem Strande der Ostsee durch den Streckelberg getrennt. Dieser steigt vom Dorfe her, schön bewaldet, bis etwa dreihundert Meter sanft in die Höhe, fällt nach dem Meere zu jedoch ziemlich schroff ab. Die abfallende Wand ist aber keineswegs felsig, zeigt nicht einmal festes Erdreich, sondern losen Dünensand. Wenn man oben auf der Höhe steht, so sieht man in nicht allzu großer Entfernung vom Strande im Meere eine langgestreckte, niedrige Insel mit einem Leuchtturm, die Greifswalder Oie, und dahinter zur Linken dämmern, bei klarem Wetter ziemlich deutlich, die Kreidefelsen der Insel Rügen.

Vorzeiten sah es hier anders aus. Die Ostsee rollte nicht ihre Wogen bis an den Fuß des Streckelberges, sondern das Land erstreckte sich noch weit hinaus in das Meer und trug gerade hier die große, volkreiche Stadt Vineta, die größte und reichste Handelsstadt des Nordens, das nordische Venedig. Land und Stadt sind vom Meere verschlungen worden, und nur die Sage weiß noch von dem einst so mächtigen Vineta zu berichten. Hohe Mauern und feste Türme schützten die Stadt, denn nur zu oft hatte sie von den seefahrenden Nachbarn, den Normannen und Dänen, zu leiden gehabt. Deshalb spähte ein Wächter vorsichtig bei Tag und bei Nacht nach allen Seiten über Land und Meer, um das kleinste Zeichen einer nahenden Gefahr mit Hörnerruf zu melden. Zwar waren die breiten und geraden, meist dem Meere zulaufenden Straßen ungepflastert und schmutzig, bei schlechtem Wetter war schwer durchzukommen, und vor den Häusern häufte sich der Kehrricht, in dem die Schweine umherwühlten, dennoch aber war Vineta nach den Begriffen der Zeit eine prächtige, jedenfalls eine sehr reiche Stadt. Ihre Einwohner bestanden zumeist aus Schiffern und Handelsherren, welche weit in der Welt umherfuhren und die Erzeugnisse und Kostbarkeiten fremder Länder heimbrachten, um ihre Häuser damit zu schmücken. Da sah man schlanke Säulen aus farbigem Marmor an den Türen, sie waren aus Italien mitgebracht, und oft hatte die Bauart der Häuser etwas Fremdartiges. Man fand hin und wieder südliche Altane und Galerien zwischen niedrigen wendischen Bauten, und dann wieder spitze gotische Giebel mit reichen saubergeschnitzten Steinarbeiten, mit Bogenfenstern und gewölbten Türen. Selbst Glasscheiben und Glaswaren, ein unerhörter Luxus damaliger Zeit in dieser nordischen Gegend, waren gar nicht selten.

So reich die Leute von Vineta waren, so stolz und hochmütig waren sie auch. Nichts war ihnen gut genug, und ihr Übermut kannte endlich keine Grenzen mehr. Wohl waren sie Christen, aber mehr nur dem Namen als der Wirklichkeit nach. Sie meinten genug zu tun, wenn sie den Priestern gaben, sogar mehr gaben, als diese für die Kirche forderten. Das mußte ihnen ja doch im Himmel angerechnet werden, was sollten sie sich erst noch darum bemühen. So blieben die Kirchen leer, die Zuhörer waren ein paar alte Mütterlein, die noch obenein insgeheim mehr an den alten Wendengöttern hingen, als an dem Kreuz. Die Kaufherren glaubten sich selber genug zu sein, und der Kirche nicht weiter zu bedürfen, als daß sie ihr überreichlich gaben spendeten, womit sie sich loszukaufen meinten von allem bösen Wesen. Auf diese reichen Spenden pochten sie, wenn die Priester versuchten, sie durch Ermahnungen von ihrem sündhaften Leben und Treiben zur Umkehr zu bewegen, Drohungen mit dem Strafgericht des Himmels verlachten sie. Vineta war eine Stadt, in welcher wohl kaum ein Gerechter gefunden werden konnte. Das Strafgericht des Himmels sollte denn auch nicht ausbleiben.

Es war an einem Karfreitag. Wieder hatten die Glocken vergebens zu den Kirchen gerufen, nur wenige waren dem Rufe gefolgt und diese schwerlich aus dem inneren Drange, an diesem ernsten Feiertage Buße zu tun. Ein Feiertag war es freilich auch für die Leute von Vineta, aber sie feierten ihn in Saus und Braus bei festlichen Gelagen. Da sah denn auch niemand die außergewöhnlich bedrohlichen Anzeichen in der Natur, als höchstens etwa ein paar arme Fischer, die gewohnt waren, fas Wetter zu beobachten. Und gar schlimme Anzeichen waren es. Angstvoll flatterten die Möwen über dem Meere, und unheimlich krächzten die Raben und Krähen in den Waldbäumen. Ein ängstliches, bedrückendes Brüten hing über der Erde, und die Brust vermochte nur mühsam zu atmen.

Da, gegen Mittag erhob sich ein Sturm aus Nordost, der von Minute zu Minute an Heftigkeit zunahm. Mit donnerndem Brausen brandeten die Wogen gegen die Hafendämme und die Dünenwände, bald schlugen sie darüber hinweg, und der salzige Schwall ergoß sich über die Umgebung der Stadt. Im Walde brachen die dicken Stämme wie Reisig, nachtschwarz überzog sich der Himmel, und es wurde finster wie am Abend. Aus den schwarzen Wolken prasselte der Hagel und goß der Regen in Strömen. Immer höher schwollen die Wogen, bald war die ganze Gegend nur noch ein unübersehbarer See, und das Wasser drang durch die Tore in die Stadt ein. Da freilich scholl ein Angstruf durch die Straßen, und die Festgelage wurden jäh unterbrochen.
Plötzlich dröhnte ein ein gewaltiges Donnern durch Sturm und Wolkenbrausen, man wußte nicht, tönte es vom Himmel herab oder aus der Erde herauf. Aber gleich darauf öffnete sich ein breiter Erdspalt vom Meere bis tief in den Wald hinein, ein teil der Mauer, Häuser, die Hafendämme stürzten ein, und alles begruben die nun durch den Spalt übermächtig hereindringenden Wassermassen. Da war an keine Rettung mehr zu denken, um so weniger, da der Sturm die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag mit gleicher Furchtbarkeit fortwütete.

Und als der Ostermorgen tagte und die Wut der Elemente sich endlich zu legen begann, da war Vineta vom Erdboden verschwunden, und wo es gestanden in Pracht und Üppigkeit, umgeben von herrlichen Wäldern und fruchtbaren Wiesen, da flutete und schäumte nun das ewige Meer. Die Fischer auf Usedom wissen noch heutzutage seltsam wunderliche Dinge zu erzählen von der Stelle im Meere, wo Vineta einst versunken ist. Bei klarem Wetter soll man bisweilen noch tief unten auf dem Meeresgrude die Stadt sehen, namentlich am Ostermorgen, auch die Glocken lieblich herauftönen hören, wie sie zum Morgengebet läuten. Ja, manche wollen sogar gesehen haben, daß sie aus dem Meere heraufsteigt und wie eine Fata morgana über den Wassern schwebt mit all ihren Häusern und Kirchen, Toren und Türmen. Bei stürmischem Wetter aber meidet noch heute jeder Schiffer die Stelle, denn er läuft Gefahr, an den Trümmern der Stadt zu zerschellen und mit Schiff und Mannschaft rettungslos zu Grunde zu gehen.

(nach einer Sage der Gebrüder Grimm)


Atlantis und andere versunkene Zivilisationen






© Alexander Rossa 2007

Der E-Komplex - Entdecke die Macht Deiner Emotionen